Mobbing am Arbeitsplatz ist schon lange kein seltenes Phänomen mehr. Die Zahl der Mobbing-Opfer wurde bereits im Jahre 2001 in Deutschland auf 1,5 Mio. geschätzt. Zehn Prozent der Selbstmorde wurden bereits vor 20 Jahren auf Mobbing zurückgeführt (Frankfurter Rundschau v. 27. 2. 2001, S. 25). Im Jahr 2020 schätzte die Bundesanstalt für Arbeitsschutz, dass mehr als eine Million Arbeitnehmer betroffen sind, Verdi geht von 1,8 Millionen Mobbing-Opfern aus und schätzt den volkswirtschaftlichen Schaden durch Mobbing auf bis zu 25 Milliarden Euro.
Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein. Denn meistens gelingt der Ausschluss des Mobbing-Opfers aus der Gemeinschaft am Arbeitsplatz ohne weiteres Aufsehen, ohne dass dies in irgendeiner Form in einer Statistik erfasst wird.
Wenn Sie befürchten von Mobbing betroffen zu sein, stehen wir Ihnen gerne zur Seite. Nehmen Sie Kontakt auf.
1. Was ist Mobbing am Arbeitsplatz?
Was ist Mobbing?
Die Einordnung von Verhaltensweisen zum schillernden Begriff des Mobbings ist im Einzelfall sehr schwierig. Insbesondere kann die Unterscheidung zwischen „normalen“ Unverschämtheiten und Sticheleien oder Hänseleien schwerfallen. Vieles wird als „Mobbing“ bezeichnet, ohne dass dies eine rechtliche Relevanz hat und sich im Bereich des Sozialadäquaten befindet.
Mobbing im Allgemeinen ist ein Sammelbegriff für Verhaltensweisen. Diese Verhaltensweisen können je nach Sachlage für die Betroffenen rechtliche, gesundheitliche und wirtschaftliche Auswirkungen haben. Mit wachsender Zunahme können sie soziologische Folgen im gesellschaftlichen Leben nach sich ziehen.
Allgemein versteht man unter Mobbing eine kommunikative Situation, die für einen Einzelnen körperlich als auch psychisch negativ wirkt. Es ist geprägt von ständiger Wiederholung und entfaltet seine Wirkung erst in der Gesamtschau bei Summierung von einzelnen zermürbenden Einzelakten. Leymann, definiert den Begriff des Mobbings allgemein in seinem Buch „Mobbing – Psychoterror am Arbeitsplatz“, Rowohlt E-Book, Seite 225 wie folgt:
Der Begriff Mobbing beschreibt negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind
Dabei ist es unerheblich, ob diese Handlungen von einer oder mehrere anderen Personen erfolgen.
[„Die Handlungen kommen“] sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vor und kennzeichnen […] die Beziehung zwischen Täter und Opfer“
Das ist Mobbing im Arbeitsrecht
Diese weite Definition muss nicht zwingend zur Folge haben, dass es sich dabei auch um Mobbing am Arbeitsplatz mit arbeitsrechtlicher Relevanz handelt.
Zunächst müssen Sie wissen, dass Mobbing kein Rechtsbegriff und damit auch keine Anspruchsgrundlage für Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber oder den oder die Täter/innen ist.
Vielmehr wird Mobbing erst im Rahmen einer Rechtsgutsverletzung im Tatbestand einer unerlaubten Handlung relevant. Es muss jeweils geprüft werden, ob der in Anspruch Genommene in den genannten Einzelfällen arbeitsrechtliche Pflichten verletzt hat. Die juristische Bedeutung der durch den Begriff Mobbing gekennzeichneten Sachverhalte besteht darin, der Rechtsanwendung komplexe Verhaltensweisen zugänglich zu machen. Verhaltensweisen, die bei isolierter Betrachtung der einzelnen Handlung die tatbestandlichen Voraussetzungen von Anspruchs-, Gestaltungs- und Abwehrrechten nicht oder nicht in einem der Tragweite des Falles angemessenen Umfang erfüllen können.
Die Definition von Mobbing am Arbeitsplatz
Die eben genannte Definition von Leymann konnte sich im Grundsatz zunächst auch im Arbeitsrecht Geltung verschaffen. Sie wird noch heute von der Arbeitsgerichtsbarkeit zitiert. Im Laufe der Zeit hat die Arbeitsgerichtsbarkeit eine weitergehende eigene Definition und Grundsätze herausgearbeitet, die die Einordnung von Konfliktsituationen als Mobbing-Handlungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsrechts ermöglichen.
(A.) Definition des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz verfeinert die allgemeine Definition von Leymann daher in seinem Beschluss vom 19. 2. 2004 – Aktenzeichen 2 Ta 12/04 weiter:
Mobbing kann nur angenommen werden, wenn systematische und zielgerichtete Anfeindungen gegen den Arbeitnehmer vorliegen. Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht umfasst der Begriff Mobbing eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz zwischen Arbeitnehmern oder zwischen ihnen und den Vorgesetzten, bei der jemand systematisch und oft über einen längeren Zeitraum mit dem Ziel oder dem Ergebnis des Ausstoßes aus der Gemeinschaft direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet. Die zahlreich in Betracht kommenden Handlungen können darin bestehen, dass der Betroffene tätlich angegriffen oder auch nur geringschätzig behandelt, von der Kommunikation ausgeschlossen, beleidigt oder diskriminiert wird.
(B.) Konkretisierung durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
Das Bundesarbeitsgericht wendet in seinem Urteil vom 25. 10. 2007, Aktenzeichen 8 AZR 593/06 zudem die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes entsprechend an:
§ 3 Abs. 3 AGG definiert den Begriff der “Belästigung”, welche eine verbotene Benachteiligung im Sinne der §§ 1, 2 AGG darstellt. Danach ist eine Belästigung eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
Dieser in § 3 Abs. 3 AGG umschriebene Begriff des “Mobbing” wird von der Arbeitsgerichtsbarkeit auf die Fälle der Benachteiligung eines Arbeitnehmers – gleich aus welchen Gründen – übertragen. Die Norm zeigt besonders gut, dass es grundsätzlich auf die Zusammenschau der einzelnen “unerwünschten” Verhaltensweisen ankommt, um zu beurteilen, ob “Mobbing” vorliegt.
(A) Ist für Mobbing am Arbeitsplatz eine bestimmte Handlungsfrequenz erforderlich?
Mobbing-Handlungen müssen eine gewisse „Schlagzahl“ aufweisen. Es genügt daher nicht, wenn es vereinzelt beispielsweise in einem Zeitraum von 3 Jahren zu lediglich 9 Übergriffen kommt.
Ein Zusammenhang mit gleich gelagerten, die Rechte des Betroffenen beeinträchtigenden Verhaltensweisen muss bestehen. Ein solcher Zusammenhang muss sich nicht nur aus dem zeitlichen Ablauf ergeben, er erfordert regelmäßig auch eine identische Zielsetzung. Auch bei selbst bei groben Beleidigungen kann es an dem für ein systematisches Handeln erforderlichen Zusammenhang fehlen, wenn diese vereinzelt geblieben sind, zeitlich weit auseinanderliegen oder aus anderen Gründen keinen Bezug zueinander aufweisen.
Braucht Mobbing am Arbeitsplatz eine Mindestlaufzeit?
Die tatbestandlichen Wirkungen des Mobbings treten abhängig von den Gesamtumständen des jeweiligen Falles ein. Ein Verhalten, welches als Mobbing zu qualifizierbar ist, kann innerhalb kürzester Zeit zu den schwerwiegendsten Folgen führen (vgl. Urteil des LAG Thüringen, Urt. v. 15. 2. 2001 – 5 Sa 102/00 – Selbstmordversuch des Opfers). Daher ist eine Mindestlaufzeit grundsätzlich nicht erforderlich.
Der Maßstab
(A.) Konkretes Umfeld
Maßgeblich ist zunächst, in welchem konkreten Umfeld das Mobbing infrage steht. Beispielsweise mögen für Jung-Köche in einer klassischen Küche aufgrund der traditionellen und streng hierarchischen Küchenstruktur, dem vergleichsweise rauen Ton etc. die Anforderungen an Mobbing weitaus höher liegen als in Büroberufen, wo „rustikale Kritik“ ungleich eher als Persönlichkeitsrechtsverletzung gewertet werden kann.
(B.) Objektive Betrachtung maßgeblich
Weiterhin ist zu beachten, dass es im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen gibt, die sich durchaus auch über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Gleichwohl müssen Konfliktsituationen nicht zwingend geeignet sein, einen Rückschluss auf Mobbing zu rechtfertigen. Daher gilt es, arbeitsrechtlich folgenloses oder sozial- und rechtsadäquates Verhalten aufgrund einer objektiven Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der konkreten Situation und Arbeitsumgebung sowie der traditionellen – wenn auch bisweilen auch grenzwertigen – Gepflogenheiten auszunehmen.
Das bedeutet, dass die Beurteilung, ob eine Mobbing-Handlung vorliegt, vordergründig ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden des betroffenen Arbeitnehmers erfolgt. Würde lediglich das subjektive Empfinden des potenziellen Mobbing-Opfers maßgeblich sein, würde dies zu Zufälligkeiten führen, die nicht justiziabel wären. Aus Gründen der Rechtssicherheit muss die Bewertung nach objektiven Kriterien geschehen. Eine besonders zart besaitete Person würde ein Mobbing-Opfer sein, wo eine widerstandsfähige Persönlichkeit nicht einmal etwas merken würde.
Es gilt also: Nicht jede Meinungsverschiedenheit oder Auseinandersetzung zwischen Kollegen und/oder Vorgesetzten und Untergebenen kann den Begriff »Mobbing« erfüllen.
Es ist dem Zusammenarbeiten mit anderen Menschen immanent, dass sich insbesondere auf fachlicher Ebene Reibungen und Konflikte ergeben. Das diese nicht zwingend Ausdruck des Ziels sind, den Anderen systematisch in seiner Wertigkeit gegenüber Dritten oder sich selbst zu verletzen, liegt auf der Hand.
Mobbing am Arbeitsplatz nur bei Überschreiten des „Normalen“ Maßes
Bisweilen gibt es Hänseleien oder Neckereien, die von jedem hingenommen werden müssen. Derartige Handlungen können den Rahmen der sozialen Adäquanz nur überschreiten, wenn sie fortgesetzt wiederholt werden, immer nur denselben Mitarbeiter betreffen, von diesem erkennbar nicht (mehr) als Spaß aufgefasst werden und deshalb nicht dem Scherz, sondern nur der Schikane dienen.
So heißt es im Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkrichen vom 31.08.2020, Aktenzeichen 1 Ca 613/20:
Im Arbeitsleben übliche Konfliktsituationen, die sich durchaus auch über einen längeren Zeitraum erstrecken können, haben daher keine Bedeutung für die Feststellung einer rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Die kritischen Verhaltensweisen sind aufgrund einer objektiven Betrachtungsweise und ohne Rücksicht auf das subjektive Empfinden der betroffenen Arbeitnehmerin zu bewerten. Dies gilt auch für das Verhältnis von Vorgesetzen zu Untergebenen (BAG vom 15.09.2016, a. a. O., Randnummer 36).
2. Was ist Mobbing am Arbeitsplatz durch den Chef?
Gehen die Verhaltensweisen, die den Rückschluss auf Mobbing rechtfertigen, von einem Vorgesetzten aus, handelt es sich begrifflich ebenfalls um Mobbing. Begrifflich konkretisiert wird diese Konstellation durch die Bezeichnung „Bossing“. Dabei handelt es sich schlicht und ergreifend um Mobbing durch einen Vorgesetzten, sodass die eben genannten Kriterien auch für das sogenannte „Bossing“ gelten.
Bei der Frage, ob die Handlungen eines Vorgesetzten Mobbing-Handlungen darstellen, stellt sich bisweilen die Abgrenzung zwischen zulässigen Maßnahmen (Abmahnung, Weisung) und deren Missbrauch im Rahmen des Mobbings/Bossings als schwierig dar.
Kein Bossing/Mobbing am Arbeitsplatz bei Streit um das Weisungsrecht
Typisches Beispiel für das Nichtvorliegen von Mobbing sind die dauernde Auseinandersetzung über unterschiedliche Rechtsansichten. So kann sich insbesondere über die Reichweite des Weisungsrechts des Arbeitgebers gestritten werden. So steht ein engagierter Vorsitzender des Betriebsrates in der Regel und Kraft Natur der Sache im Angriffsfeld des Arbeitgebers. Dies führt aber nicht dazu, dass diese Angriffssituation automatisch als systematische Anfeindung einzuordnen ist.
Kein Mobbing am Arbeitsplatz bei rauem Ton bei Sachfragen
Auch wenn in Sachfragen ein „rauer Ton“ herrscht, hat dies nicht zwingend zur Folge, dass der ständige Streit als Mobbing gelten muss. Dies ist bedingt durch das verbreitete Rollenverständnis der meisten Arbeitgeber. Dieses Rollenverständnis hat zur Folge, dass Streitigkeiten über Sachfragen oft in unangemessener, teils intoleranter Form ausgetragen werden.
Es ist eine verwerfliche Gesinnung erforderlich
Für die Bejahung eines Mobbingverhaltens ist es daher zusätzlich erforderlich, dass den Vorfällen, aus denen sich Mobbing ableiten lassen soll, eine verwerfliche Motivation des Mobbenden entnehmen lässt.
So heißt es in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 1. 4. 2004, Aktenzeichen 3 Sa 542/03:
Vielmehr handelt es sich bei den vom Klagenden angeführten Vorfällen weit überwiegend um Sachstreitigkeiten, die vom Beklagten oftmals allerdings in unangemessener, teils intolerabler Form ausgetragen worden sind. Dieses Verhalten mag seiner Persönlichkeitsstruktur oder seinem Rollenverständnis entspringen. Anhaltspunkte für ein aus verwerflichen Motiven gerade gegen den Kl. zielgerichtetes Verhalten sind jedoch nicht in dem erforderlichen Umfang gegeben.
Bei Weisungen nur ausnahmsweise Verletzung des Persönlichkeitsrechts
Nach der Rechtsprechung des BAG kann in Weisungen die sich im Rahmen des dem Arbeitgeber zustehenden Direktionsrechts bewegen und bei denen sich nicht eindeutig eine schikanöse Tendenz entnehmen lässt, nur in Ausnahmefällen eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts gesehen werden.
Denn Weisungen, die den Rahmen des Direktionsrechts überschreiten, sind nicht von vornherein Anzeichen für Verletzungen des Persönlichkeitsrechts. Wenn den Weisungen sachlich nachvollziehbare Erwägungen des Arbeitgebers zugrunde liegen, können sie nicht als Ausdruck einer feindlichen Einstellung gewertet werden. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber sein Weisungsrecht überschreitet.
An der notwendigen Systematik des Vorgehens kann es darüber hinaus fehlen, wenn ein Arbeitnehmer von verschiedenen Vorgesetzen, die nicht zusammenwirken und die zeitlich aufeinander folgen, in seiner Arbeitsleistung kritisiert oder schlecht beurteilt wird.
Ebenfalls werden Verhaltensweisen von Arbeitgebern oder Vorgesetzten nicht in die Prüfung einbezogen, wenn diese lediglich eine Reaktion auf Provokationen des Arbeitnehmers sind. Insoweit fehlt es an der notwendigen eindeutigen Täter-Opfer-Konstellation.
Kein Bossing/Mobbing am Arbeitsplatz bei anfänglich gerechtfertigter Abmahnung
Auch ungerechtfertigte Abmahnungen können eine Teilhandlung einer Mobbing-Konstellation sein. Ist die Abmahnung aber aus Sicht des Arbeitgebers bei einer ex-ante Betrachtung gerechtfertigt, begründet dies keine mobbingrelevante Handlung.
So kam auch das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 17.03.2010, Aktenzeichen 6 Sa 256/09, zu dem Ergebnis, dass auch eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Abmahnungen (im Fall 9 im Nachhinein aus formellen Gründen ungerechtfertigte Abmahnungen innerhalb von 4 Monaten) nicht zwingend den Rückschluss auf Mobbing rechtfertigen. Aus den Abmahnungen gingen im Streitfall keine verwerflichen Motive hervor.
Richtig ist, dass die dem Kläger zwischen dem 11.12.2007 und 08.04.2008 erteilten neun Abmahnungen auf ein systematisches Vorgehen des Geschäftsführers der Beklagten hindeuten. Die auf unterschiedliche Vorwürfe gestützten Abmahnungen sprechen dafür, dass der Kläger genau und zudem kritisch beobachtet worden ist. Mit einem solchen Verhalten verletzt der Arbeitgeber aber noch nicht die Rechte des Arbeitnehmers. Auch wenn der Arbeitgeber aufgrund seiner Beobachtungen Abmahnungen ausspricht, handelt er nicht ohne weiteres pflichtwidrig. Eine berechtigte Abmahnung kann grundsätzlich kein Mobbing sein, sondern stellt eine Wahrnehmung berechtigter Interessen dar. Selbst eine Abmahnung, die sich im Nachhinein als unwirksam erweist, begründet diesen Vorwurf erst dann, wenn verwerfliche Motive hinzukommen.
Anders liegt der Fall, wenn die Abmahnung/en aus reiner Schikane erfolgen. Dies muss jedoch in irgendeiner Weise aus den Abmahnungen ersichtlich sein. Schikanöse Abmahnungspraxis kann vorliegen, wenn ein Mitarbeiter gerade erst aus dem Urlaub zurückkehrt und am Tag seiner Rückkehr 4 Abmahnungen erhält und evident ist, dass diese willkürlich erfolgten.
Kein Bossing/Mobbing bei Auswechslung mit anderem Arbeitnehmer bei hohen Arbeitsunfähigkeitszeiten
Es ist in der Regel nicht rechtsmissbräuchlich, einen Arbeitsplatz mit einem anderen Arbeitnehmer zu besetzen, der weniger Ausfallzeiten aufweist. In der Regel ist es nicht verwerflich und auch keine rechtsmissbräuchliche Ausübung des Direktionsrechts, wenn der Arbeitnehmer zuvor erhebliche Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgewiesen hat. Dies entschied jüngst das Arbeitsgericht Gelsenkirchen mit Urteil vom 31. August 2020, Aktenzeichen 1 Ca 613/20 –, Rn. 78.
3 – Wie erkenne ich Mobbing am Arbeitsplatz?
Gibt es einen Test?
Leymann, Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz liefert eine Checkliste von circa 45 Indikatoren für Mobbing, welche nach 5 Kategorien unterteilt sind.
Dabei kommt es nicht darauf an, dass lediglich einzelne Punkte zutreffend sind. Entscheidend ist, ob in der Gesamtschau der einzelnen Handlungen oder Verhaltensweisen der Rückschluss auf eine Rechtsgutsverletzung gerechtfertigt ist.
Die Kategorisierung ist zunächst praktikabel. Zu beachten ist jedoch, dass hier ein striktes Kategoriendenken nicht angezeigt ist. Vielmehr gehen zum einen in der Regel Angriffe mehrerer Kategorien Hand in Hand. Denn die betroffenen Lebensbereiche stehen in unmittelbarer Korrelation.
1 – Angriffe auf die Möglichkeiten, sich mitzuteilen
In der ersten Kategorie führt Leymann in Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz, den Verlust von Kommunikationsmöglichkeiten unter dem Vorwand der Konfliktbegrenzung mit Kollegen an. In dieser Kategorie geht der Zugang zu relevanten Informationen verloren. Gesprächsversuche führen unmittelbar zu gegenseitigen Vorwürfen, wobei das Mobbing-Opfer in der Regel eine unterlegene Rolle einnimmt.
- Vorgesetzter schränkt die Möglichkeit ein, sich zu äußern
- Durch Monopolisierung von Kontakten
- Festlegung und Kontrolle der Zeitpunkte von Kontakten
- Intensivierung der feindseligen Kommunikation durch Einschüchterung
- durch Türen knallen,
- Anschreien,
- lautes Schimpfen.
- Ständige Kritik an der Arbeit
- Irreführende Kommunikation.
- Nichtkommunikation bei gleichzeitiger nonverbaler missbilligender Kommunikation
- durch abwertende Blicke
- oder Gesten
2 – Angriffe auf die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz
Die Isolierung eines Mitarbeiters ist nach Leymann einer der bevorzugten Schachzüge jener „Menschen“, die jemanden psychisch terrorisieren möchten. Beispiele sind:
- Ignoranz/Isolation indem
- der Betroffene nicht mehr angesprochen wird;
- geschlossenes Verlassen eines Raumes, sobald der Betroffene den Raum betritt
- Anweisungen mit dem Betroffenen nicht mehr zu kommunizieren
- Behandeln des oder der Betroffenen bei Gruppenansprachen wie Luft (Beispiel: B grüßt alle Mitarbeiterinnen, nur die A nicht.)
3 – Angriffe auf das soziale Ansehen des Opfers
Diese Angriffe gehen Hand in Hand mit den Angriffen auf das soziale Ansehen des Opfers. Kommuniziert beispielsweise der Vorgesetzte nicht mit der oder dem Betroffenen, schwächt er damit zunächst das soziale Ansehen des Opfers innerhalb der Mitarbeitergruppe. Darüber hinaus erfolgt aber auch ein Angriff auf das soziale Selbstbewusstsein des Opfers in seiner Gesamtheit mit negativen Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen außerhalb des Arbeitsplatzes.
Das soziale Ansehen ist unmittelbarer Ausdruck der sozialen Beziehungen eines Menschen. Durch Angriffe auf das soziale Ansehen versucht der Mobbing-Täter das Selbstvertrauen des Mobbing-Opfers systematisch zu untergraben. Leymann sieht den Grund für derartige Handlungen darin, dass es für den Mobbing-Täter wichtig ist, das eigene Ansehen zu stärken (Leymann, Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz, Rowohlt E-Book Seite 345). So habe der Täter regelmäßig Angst um das eigene Ansehen.
So versuche man „jemand anderes in den Augen der Umgebung in den Schmutz zu ziehen, um selbst aus der Schusslinie zu geraten“. Doch dies ist nur eines von vielen Motiven.
Leymann führt dazu im Einzelnen als Mobbing-Handlungen mit Bezug zum sozialen Ansehen in Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz auf:
- Lächerlich machen
- Respektlosigkeiten
- Schlecht Reden hinter dem Rücken des Mobbing-Opfers
- Über das Opfer in seinem Beisein herziehen, ohne dass es sich verteidigen kann
Diese Angriffe haben ihrerseits zur Folge, dass mit dem Wegbrechen des sozialen Ansehens innerhalb der Gruppe der Mitarbeiter das Selbstvertrauen des Opfers in seiner Gesamtheit geschwächt wird. Die Folge ist ein gesamtheitlich vermindertes soziales Selbstvertrauen, was letztlich auch die Schwächung der sozialen Beziehungen außerhalb des Arbeitsplatzes zur Folge hat.
Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation
Mit den oben genannten Angriffen gehen Belastungen der Berufs- und Lebenssituation einher, die Übergänge sind fließend. In den westlichen Ländern, so schreibt Leymann in Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz, definiert man sich über sein Berufsleben. So sei man Teil der Gesellschaft über sein Berufsleben.
Wer am Arbeitsplatz mit Mobbing zu kämpfen hat, dem wird augenscheinlich das ganze Leben verleidet
1 – Angriffe auf die Gesundheit
Letztlich stellen sich die bereits genannten Angriffe aufgrund der typischen Stress-Reaktion des Körpers und der daraus folgenden psychosomatischen Beschwerden auch als Angriffe auf die Gesundheit dar. Denkbar ist aber auch die Androhung von körperlicher Gewalt.
Leymann nennt in Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz, Rowohlt E-Book, S. 432, unter dieser Kategorie:
- Zwang zu gesundheitsschädlichen Arbeiten
- Androhung körperlicher Gewalt
- Anwendung leichter Gewalt
- Körperliche Misshandlung
- Sexuelle Handgreiflichkeiten
4 – Wie ist der typische Verlauf von Mobbing am Arbeitsplatz?
4 Phasen Modell von Leymann
Leymann unterscheidet in Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz insgesamt 4 Phasen des Mobbings, wobei er zutreffend darauf hinweist, dass diese nicht zwingend nacheinander und gesamtheitlich auftreten müssen. Vielmehr können Phasen auch übersprungen werden.
Phase 1: tägliche Konflikte
Die erste Phase durchläuft dem Grunde nach jedem Arbeitnehmer und Arbeitgeber nahezu täglich. Durch – wenn auch nur kleine – konstruktive Konflikte werden Arbeitsabläufe infrage gestellt, Arbeitsaufträge hinterfragt oder auf fachlicher Ebene Sachthemen streitig besprochen. Bereits hier kann im Anschluss ein Übergang zu Phase 4 erfolgen.
Phase 2: Etablierung von Mobbing
Erst in der zweiten Phase beginnt die Wandlung von der Konstruktivität zur Destruktivität, wobei der Durchlauf durch diese Phase nicht zwingend sein muss. Insbesondere beim „Bossing“ erfolgt oft auch ein direkter Übergang von Phase 1 in Phase 3.
Leymann stellt hierzu fest, dass in dieser zweiten Phase die Eskalation der Konflikte ihren Grund darin findet, dass sie oft durch Vorgesetzte zugelassen wird.
Man kann also behaupten, dass ein Konflikt zu Mobbing und Psychoterror werden kann, weil er sich eben dazu entwickeln darf.“
(Leymann, Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz, Rowohlt eBook, Seite 842)
Das Sich Nicht-darum-Kümmern sei der wohl wichtigste Grund für die Entstehung von Mobbing. Das Opfer werde durch Störung des Selbstvertrauens „präpariert“, gerate immer mehr in ein Verteidigungsverhalten und falle immer deutlicher auf.
Phase 3: Destruktive Personalverwaltung
In der Regel schließt sich sodann die Phase an, in der der Arbeitgeber meistens in Gestalt eines Vorgesetzten auf die Entwicklung reagiert. Dabei ist typisch, dass das Augenmerk bei den Maßnahmen auf die Person gerichtet ist, die in der Hierarchie weiter unten steht. Dies ist in der Regel das Mobbing-Opfer.
Bei Mobbing zur Veranlassung einer Eigenkündigung werden typischerweise unmögliche Fristen in Verbindung mit nicht relevanten Aufgaben gesetzt.
Beispiel: Arbeitgeber A weist einen Mitarbeiter aus heiterem Himmel dazu an, binnen 18h 10.000 Datensätze auszuwerten, deren Ergebnis niemanden interessiert.
Phase 4: Ausschlussphase
Am Ende eines langen Mobbingprozesses steht nicht selten der Ausschluss aus der Arbeitswelt und die Frührente.
Nach Leymann sind besonders häufig folgende Szenarien anzutreffen.
1 – Abschieben und Kaltstellen
Beim Abschieben oder Kaltstellen erfolgt eine dauerhafte Ausgrenzung innerhalb des Betriebes. Das Gehalt wird weitergezahlt, der Arbeitnehmer erhält jedoch keine Arbeitsaufträge mehr oder Verlegenheitsarbeit in Form von „Daueraufträgen“.
2 – Fortlaufende Versetzungen
Oft erfolgen fortlaufende und objektiv grundlose Versetzungen gegen den Willen des Arbeitnehmers bei zunehmender Verschlechterung des Arbeitsumfeldes und -materials. Ziel ist es, das Mobbing-Opfer von Station zu Station zu scheuchen und ihm konstant die Möglichkeit zu nehmen, soziale Interaktionen zu Nicht-Tätern etablieren zu können.
3 – Krankschreibungen
Oft ist die Folge, dass das Mobbing-Opfer sich mit zunehmender Intensität der Mobbing-Handlungen vermehrt krankschreiben lässt. Dies bedingt sich dadurch, dass Ärzte in der Regel nach Schilderung des Sachverhaltes nur ungern zulassen möchten, dass das Mobbing-Opfer in die feindliche Umgebung zurückkehren muss.
5 – Was kann ich tun bei Mobbing am Arbeitsplatz?
Wie soll ich Vorgehen bei Mobbing am Arbeitsplatz?
1 – Rücksprache mit Freunden und Verwandten
Aufgrund der Relativität der subjektiven Wahrnehmung bietet es sich in einem ersten Schritt an, die Geschehnisse am Arbeitsplatz mit dem engeren sozialen Umfeld zu besprechen. Oft kann sich hier eine andere Sicht der Dinge ergeben. Es lässt sich beobachten, dass die Vorstellungen von dem, was unter Mobbing verstanden wird und Dynamiken, die man lediglich „auszusitzen“ hat, weit auseinandergehen.
Da Mobbing-Handlungen oft auch soziale Isolation zur Folge haben, bietet es sich daher an, möglichst frühzeitig eine objektivere Meinung aus dem näheren Umfeld einzuholen, solange dieses noch intakt ist. Hier kann sich oft herausstellen, dass die Handlungen im Grunde Teil einer typischen sozialen Dynamik sind. Mehr oder weniger sind insbesondere bei Neueinsteigern ungeschriebene Rituale und bisweilen subjektiv als Erniedrigungen empfundene Dynamiken jedem Betrieb mehr oder weniger stark immanent.
Als extremes Beispiel seien hier die Gepflogenheiten in Kampfeinheiten genannt. Sinnlose Aufgaben, Ignoranz und Erniedrigung der „Neuen“ gehört hier ohne Ansehung der Person traditionell zum guten Ton und erledigt sich in der Regel mit der Zeit mit zunehmender Zugehörigkeitsdauer. In der Wirkweise ähnlich aber mehr institutioneller Natur finden sich solche Strukturen auch in der Justiz: Assessorinnen werde in den Staatsanwaltschaften – aus Platzmangel – in Büros in der Größe von Besenkammern eingepfercht und mit Akten überzogen, ohne dass dabei eine gegen die konkrete Person gerichtete Verletzung der Persönlichkeit beabsichtigt ist.
Führt man sich im Gespräch mit Freunden und Verwandten einige Extrembeispiele und die Erfahrungen der anderen in ihren jeweiligen Berufen vor Augen, kann sich oft ein anderes Bild der Situation ergeben.
2 – Aufsuchen einer Beratungsstelle/vorzeitige Anwaltliche Beratung
Kommt man in Rücksprache mit Freunden und Verwandten zu dem Ergebnis, dass die Dynamiken am Arbeitsplatz unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten Berufsgruppe nicht mehr sozialadäquat sind, empfiehlt sich das Aufsuchen einer Beratungsstelle.
Hier wird das potenzielle Mobbing-Opfer fachkundig beraten und kann seine Lage erneut einschätzen. Würde man diese beiden Schritte überspringen und sich direkt beim Arbeitgeber beschweren, könnte man Gefahr laufen, die Handlungen zu verstärken und zusätzlich als Verräter oder „Petze“ stigmatisiert zu werden.
Ebenfalls empfehlenswert ist es, in einem möglichst frühen Stadium einen spezialisierten Anwalt Mobbing zu konsultieren. Hier können frühzeitig die Weichen für eine adäquate und nachvollziehbare Dokumentation gestellt werden. Ebenfalls kann ein spezialisierter Anwalt für Arbeitsrecht Instruktionen für ein Gespräch mit dem Arbeitgeber geben, damit ein solches Gespräch möglichst gewinnbringend wird und die Information des Arbeitgebers im Zweifel auch einwandfrei nachweisbar vonstattengeht.
3 – Information des Arbeitgebers
Wenn das soziale Umfeld und eine Beratungsstelle oder ein Fachanwalt für Arbeitsrecht mit Affinität zu Mobbing zu dem Ergebnis kommen, dass die Handlungen nicht sozialadäquat sind, sondern auf „niederen Beweggründen“ beruhen und gezielt gegen den Betroffenen oder die Betroffene richten und nicht traditionsbedingt gegen alle „Neuen“ richten, bietet es sich an, das Gespräch zum Arbeitgeber zu suchen.
Wie Leymann in Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz feststellt, sind circa 50 % der Mobbing-Szenarien darauf zurückzuführen, dass der Vorgesetzte oder Arbeitgeber nicht hinsieht oder mangels Anwesenheit am konkreten Arbeitsplatz hinsehen kann. Hier kann auf die Resultate der Gespräche mit Freunden und Verwandten und gegebenenfalls die Einschätzung einer Beratungsstelle konkret und präzise die Situation dargelegt werden.
Nicht hilfreich dürfte es sein, ohne Rücksprache ein Mobbing zu behaupten, ohne dies konkret zu untermauern. Mangels konkreter Anhaltspunkte ist es dem Arbeitgeber dann unmöglich, Schutz-Maßnahmen zu ergreifen. Allein das Fallenlassen der „M-Bombe“ kann in dem Fall, dass das Vorbringen haltlos und vage ist, zu einer weiteren Ausgrenzung und Verstärkung der Mobbing-Handlungen führen, wenn sich der Gang zum Arbeitgeber herumspricht, ohne dass dafür im Ausgleich substanzhaltige Informationen an den Arbeitgeber gelangt sind.
4 – Aufforderung an den Arbeitgeber zur Ergreifung von Schutz-Maßnahmen
Nach § 242 BGB ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht selbst durch Eingriffe in deren Persönlichkeits- oder Freiheitssphäre zu verletzen, diese vor Belästigungen durch Mitarbeiter oder außenstehende Dritte, auf die er einen (vertraglichen) Einfluss hat, zu schützen, einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und die Arbeitnehmerpersönlichkeit zu fördern.
Zur Einhaltung dieser Pflichten kann der Arbeitgeber als Störer nicht nur dann in Anspruch genommen werden, wenn er selbst den Eingriff begeht oder steuert, sondern auch dann, wenn er es unterlässt, Maßnahmen zu ergreifen oder seinen Betrieb so zu organisieren, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts ausgeschlossen wird. Bei objektiv rechtswidrigen Eingriffen in sein Persönlichkeitsrecht hat der Arbeitnehmer entsprechend den §§ 12, 862, 1004 BGB bei drohender Verletzungsgefahr einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch.
Auch hier ist ein möglichst konkreter Vortrag zwingend erforderlich. Der Arbeitgeber muss nachvollziehen können, wer wann was gemacht oder gesagt hat. Andernfalls kann er keine Schutzmaßnahmen treffen.
5 – Beschwerde beim Betriebsrat
Soweit ein Betriebsrat existiert, kann man sich nach § 84 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) Beschwerde einreichen.
Wann kann ich vom meinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen und der Arbeit fern bleiben?
Bei Mobbing kann nicht ohne weiteres von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht werden. Vielmehr sind vorher Voraussetzungen zu erfüllen, bevor man der Arbeit fernbleiben kann.
1 – Voraussetzungen des Zurückbehaltungsrechts
Das Fernbleiben eines Arbeitnehmers vom Dienst kann insgesamt dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer sich auf ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich der Arbeitsleistung gem. § 273 BGB wegen einer Fürsorgepflichtverletzung des Arbeitgebers berufen kann.
Dies kann der Fall sein, wenn es dem Arbeitnehmer wegen einer akuten Gefährdung von Leib und Leben unzumutbar ist, seine Arbeitsleistung zu erbringen.
2 – Konkreter Hinweis an den Arbeitgeber erforderlich
Liegt als eine Fürsorgepflichtverletzung des Arbeitgebers vor, darf der Arbeitnehmer von seinem Zurückbehaltungsrecht erst dann Gebrauch machen, wenn er den Arbeitgeber konkret auf die Verletzungshandlung hingewiesen und ihm Gelegenheit auch in zeitlicher Hinsicht eingeräumt hat, die beanstandeten Missstände abzustellen.
3 – Was passiert, wenn ich den Arbeitgeber nicht konkret hinweise?
Ohne konkreten Hinweis auf die Verletzungshandlung kann Ihnen gekündigt werden. Denn dann kann das Fernbleiben von der Arbeit als beharrliche Arbeitsverweigerung angesehen werden.
Informiert das Mobbing-Opfer den Arbeitgeber daher nicht nachweisbar und hinreichend konkret über die in Rede stehenden Mobbing-Handlungen, geht die Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes fehl. Das Fernbleiben wäre eine beharrliche Arbeitsverweigerung, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann.
So führte das Hessische Landesarbeitsgericht in dem Urteil vom 26.08.1997, Aktenzeichen 7 Sa 535/97 aus:
Soweit der Kläger behauptet, hinter seinem Rücken werde von Arbeitskollegen schlecht geredet und mit unredlichen Tricks versucht, die Zusammenarbeit unerträglich zu machen, sind diese Behauptungen so unpräzise, daß aufgrund dieser Behauptungen keine erhöhte Pflichtenstellung der Beklagten ausgelöst wird. Auch die Behauptung des Klägers, von Arbeitskollegen würde Rattengift in seine Nähe gelegt und er werde beschuldigt, sich das Gift selbst beigebracht zu haben, ist unsubstantiiert. Der Kläger müßte konkret vortragen, welche Arbeitskollegen wann mit welchen Worten schlecht über ihn geredet haben, mit welchen genauen Tricks durch wen die Zusammenarbeit unerträglich gemacht wird sowie wann und wo Rattengift in seine Nähe verbracht wurde. Ohne einen solchen konkreten Vortrag kann die Beklagte nicht tätig werden und für Abhilfe sorgen.
6 – Beispiele für Mobbing in der Rechtsprechung
Als relevante Verhaltensweisen für Mobbing kommen insbesondere in Betracht: Tätlichkeiten; ehrverletzende Handlungen; sexuelle Belästigungen; Demütigungen; Diskriminierungen; grundlose Herabwürdigung der Leistungen; vernichtende Beurteilungen; Isolierung; Abkoppelung von der betrieblichen Information und Kommunikation; schikanöse Anweisungen wie Zuteilung nutzloser oder unlösbarer Aufgaben; Ankündigung oder Durchführung von belastenden Maßnahmen ohne Begründung; Durchführung von Maßnahmen, denen vergleichbare Mitarbeiter nicht unterworfen sind; sachlich nicht begründbare Häufung von Arbeitskontrollen.
Dauerhafte Erniedrigung, Beschneidung von Pausen; Selbstmordversuch
In dem Fall des Thüringer Landesarbeitsgericht, Urteil vom 15.02.2001, Aktenzeichen: 5 Sa 102/2000, ging es um die Rechtmäßigkeit einer fristlosen außerordentlichen Kündigung eines Bossing-Mobbing-Täters, nachdem sich eines seiner Opfer, der F, versucht hatte, das Leben zu nehmen. Unter anderem kam es zu folgenden Äußerungen.
“Sie lahmes Arschloch”, “Können Sie denn überhaupt nichts richtig machen”, “Sie Erfurter Puffbohne können wohl überhaupt nichts”, “Ich mache Sie fertig”, “Sie haben wohl nicht alle Tassen im Schrank” , “Herr H hat Ihnen wohl nur Müll gelernt, aber das ist ja normal bei Herrn H”, usw.
Hinzu kam, dass der Täter dem Opfer die Pausen entzog und vor anderen Mitarbeitern herunter machte.
„Herr F, sie haben doch nur simuliert und zu Hitlers Zeiten hat man solche Betrüger wie Sie an die Wand gestellt und erschossen. Herr F, zu Hitlers Zeiten haben sich Männer Finger abgeschnitten, um nicht in den Krieg zu müssen, solche hat Hitler auch an die Wand gestellt.“
Für das Gericht lagen auch unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Streitfalls und aufgrund des Ergebnisses der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme, des schriftsätzlichen und in der Berufungsverhandlung erfolgten Vorbringens der Parteien nach Überzeugung der Kammer ein gegen den Mitarbeiter F der Beklagten gerichtetes, dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht und seine körperliche Unversehrtheit verletzendes Mobbing des Klägers vor.
Jahrelanges und gezieltes Anschreien einer Mitarbeiterin ohne erkennbaren Grund
In dem Fall des Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. August 2007, Aktenzeichen 4 Sa 522/05 schrie ein Vorgesetzter eine Mitarbeiterin gezielt über mehrere Jahre hinweg permanent ohne triftige Gründe an.
Der Täter feindete die Arbeitnehmerin permanent an und schrie sie über Jahre hinweg fast täglich an. Obwohl der Täter auch gegenüber anderen Mitarbeitern einen lauten Ton an den Tag legte und bisweilen herumschrie, war dieses Verhalten gegenüber dem Opfer besonders ausgeprägt. Die Schreiattacken drehten sich fast immer um die Arbeit und um Kritik, ohne dass es Zeugen zu Folge einen Anlass zur Kritik im Hinblick auf die Tätigkeit der Arbeitnehmerin gab.
Die Voraussetzungen eines Geldentschädigungsanspruches sind gegeben, da der Beklagte zu 3) vorsätzlich die Ehre und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt hat, weil es nicht angeht, auch in einer gewissen betrieblichen Hektik einen bestimmten Mitarbeiter permanent systematisch und dauerhaft anzuschreien.
Verhängung eines Zutrittsverbotes ohne plausible Anhaltspunkte
In dem Fall des Arbeitsgerichts Halberstadt, Urteil vom 17. Februar 2004, Aktenzeichen 5 Ca 574/03 ging es um die Verhängung eines Zutrittsverbotes zum Betriebsgelände ohne plausible Anhaltspunkte wegen einer angeblich befürchteten ansteckenden Erkrankung. Dies erfolgte in Verbindung mit der Androhung einer Strafanzeige wegen versuchter Körperverletzung bei Zuwiderhandlung. Ein solches Verhalten kann eine Mobbing-Handlung und Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen.
Die Verhängung eines Zutrittsverbotes verbunden mit der Androhung einer Strafanzeige wegen versuchter Körperverletzung stellt dann, wenn es keinerlei objektiven Anlass für diese Maßnahmen gibt, einen schwerwiegenden und nicht gerechtfertigten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Wenn jemand zur Verschaffung einer günstigen Rechtsposition für sich oder einen Anderen einem Dritten grundlos Strafverfolgung androht, verletzt das den Wert- und Achtungsanspruch der Persönlichkeit des Dritten. Es bedeutet einen massiven Einschnitt in die sozialen Belange einer Person, wenn sie Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen ist. Bereits die Androhung einer Strafanzeige ist geeignet, die Willens- und Entschließungsfreiheit des Adressaten zu beeinträchtigen.
Systematische Verwehrung von Kommunikation; Isolation
Im Fall des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24.10.2019, Aktenzeichen 10 Sa 704/19 wurde der Arbeitnehmerin systematisch die für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderliche Kommunikation verwehrt.
1 – Der Sachverhalt
Die nach der Aufgabenbeschreibung zwingende Tätigkeitsvoraussetzung der Kommunikation hat die Beklagte erschwerte die Arbeitgeberin systematisch. Dabei wurden der Klägerin auch Aufgaben übertragen, die nicht der im Arbeitsvertrag und in dem Versetzungsschreiben enthaltenen Tätigkeitsbeschreibung entsprachen wie zum Beispiel die Erfassung von mehr als 1000 Bewertungsbögen von Kunden. Hierin handelte es sich um niedere Aufgaben, die eher dem Anforderungsprofil eines Praktikanten entsprachen. Sie erhielt auch keinerlei Feedback für ihre Arbeit. Mitarbeitern wurde es untersagt, sich mit Aufgaben der betroffenen Arbeitnehmerin zu beschäftigen. Es wurde der Klägerin auch bei den von der Tätigkeitsbeschreibung umfassten Aufgaben systematisch die Kommunikation erschwert.
Projekte der Arbeitnehmerin wurden systematisch herabgewürdigt. Es wurden keine Gespräche mit der Arbeitnehmerin gesucht und Projektbesprechungen fielen aus; Anfragen wurden nicht beantwortet.
2 – Die Entscheidung des Gerichts
Das Gericht beurteilte dies als Mobbing:
Die unter […] aufgelisteten Verhaltensweisen der Beklagten […] sind nach Ansicht des Berufungsgerichts als ein Gesamtverhalten, also als eine einheitliche Verletzung von Rechten der Klägerin zu qualifizieren. […] spätestens mit der Versetzung der Klägerin und der Übertragung neuer Aufgaben hätte das Arbeitsverhältnis wieder „normal“ fortgeführt werden können. Keinem Arbeitnehmer muss bereits im Vorhinein schriftlich mitgeteilt werden, dass er sich in der Kommunikation mit anderen Menschen zurückhalten solle, solange es keine Anhaltspunkte gibt, die ein vertragswidrigen Verhalten aufgrund übermäßiger oder unverhältnismäßiger Gespräche erwarten lassen würden. Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass die Beklagte generell meint, ihren durchaus herausgehobenen Beschäftigten hier eine „Hilfestellung“ geben zu müssen, ist es nicht mehr nachvollziehbar, dass den potentiellen Gesprächspartnern bereits im Vorhinein die Kommunikationsbeschränkungen gegenüber der Klägerin mitgeteilt werden. Eine Rechtfertigung für dieses Verhalten ist nicht ersichtlich.
Untätigkeit des Arbeitgebers trotz Kenntnis von Konfliktsituation
In dem Fall des Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 3. Kammer, Urteil vom 10.06.2020, Aktenzeichen: 3 Sa 219/19, ging es um die Untätigkeit des Arbeitgebers bei Kenntnis von Mobbing-Handlungen. Hier musste sich der Arbeitgeber als vorwerfen lassen, trotz jahrelanger Kenntnis von einer belastenden Konfliktsituation einer Arbeitnehmerin mit einer anderen Arbeitnehmerin Maßnahmen zur Verbesserung der bekannten Belastungssituation der Klägerin auf der Grundlage der Konflikte mit ihrer unmittelbaren Vorgesetzten unterlassen zu haben. Dabei berücksichtigte das Gericht, dass das „Verschließen der Augen“ als solches in der Regel nicht die Intensität einer schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung erreicht.
Die personalverantwortlichen Personen aufseiten der Arbeitgeberin beließen die Arbeitnehmerin in Kenntnis der Situation die Arbeitnehmerin im konkreten Fall jedoch über mehrere Jahre hinweg in der sich aus der Konfliktsituation resultierenden Belastungssituation.
Es wurden keinerlei Versuche seitens der Beklagten unternommen worden, um entsprechend den gesetzlichen Verpflichtungen aus § 241 Absatz 2 BGB Verbesserungsstrategien im Hinblick auf die geschilderte Belastungssituation der Klägerin im Rahmen der Konfliktsituation entwickeln.
Im Ergebnis begründet daher die vorzunehmende Gesamtwürdigung des Sachverhalts, dass vorliegend die Grenze zur schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung nach den Vorgaben der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung – wenn auch nur geringfügig – bereits überschritten ist.
[…]Unter Berücksichtigung der genannten Umstände ist die Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Entschädigung in Höhe von 2.500,00 € angemessen ist. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass – wie bereits erörtert – lediglich die geringfügige Überschreitung der Grenze zur schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt. Das heißt, dass eine ausgeprägte Intensität auf Seiten der Beklagten zur Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Klägerin nicht gegeben ist. Das der Beklagten vorwerfbare Verhalten liegt überwiegend im Bereich der interessenlosen Unterlassung von Maßnahmen zur Verbesserung der bekannten Belastungssituation der Klägerin auf der Grundlage der Konflikte mit ihrer unmittelbaren Vorgesetzten.
Unbegründete Degradierung eines Arbeitnehmers
Im Fall des Arbeitsgerichtes Leipzig vom 03.04.2012, Aktenzeichen 9 Ca 3854/11, ging es um die unbegründete Degradierung eines Arbeitnehmers. Das Gericht entschied, dass darin Mobbing erblickt werden kann.
In dem Teilentzug von wesentlichen Arbeitsaufgaben liegt nach Ansicht der Kammer eine schuldhaft begangene Persönlichkeitsrechtsverletzung vor. So seien Fehler des Arbeitnehmers, die eine solche Degradierung rechtfertigen würden, nicht belegt.
7 – Gründe für Mobbing
Die Motivation für die Vornahme von Mobbing-Handlungen kann vielgestaltig sein. Im Folgenden soll unterschieden werden zwischen der Motivation von Arbeitgebern einerseits und von Arbeitnehmern andererseits.
Was motiviert Arbeitgeber zu Mobbing?
In der von Information und Technik und von zunehmendem Wettbewerbsdruck geprägten Gesellschaft stehen die immer schneller eintretende Überholung von beruflichen Kenntnissen und Fertigkeiten auf der Tagesordnung. Hinzu kommen Ereignisse wie Fusion und Übernahme kompletter Unternehmen. Diese Faktoren können den Austausch von leitenden Mitarbeitern erforderlich machen.
So schreibt das Thüringer Landesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 10. April 2001 – 5 Sa 403/2000 –, Rn. 156, juris:
Im Gegensatz zu der zunehmenden Schnelllebigkeit von Faktoren, die das Arbeitsleben bestimmen, schützt das Kündigungsrecht das Arbeitsverhältnis in seinem Bestand. Das mit der Durchsetzung von Kündigungen verbundene Verfahren blockiert aus Arbeitgebersicht oft eine zügige Anpassung der Beschäftigungsstrukturen an neuartige wirtschaftliche Anforderungen im unternehmerischen Überlebenskampf. Eine Motivation des Arbeitgebers für die Zielsetzung, das vom Gesetz vorgeschriebene Verfahren zur Beendigung oder Abänderung von Beschäftigungsverhältnissen durch Mobbing zu umgehen, liegt vielfach darin, dass der davon betroffene Arbeitnehmer sich den Vorstellungen zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses widersetzt oder vom Arbeitgeber oder seinen Vertretern favorisierte Projekte nicht hinreichend unterstützt hat oder aus sonstigen Gründen auffällig geworden ist.
In der Regel setzen die Mobbinghandlungen zeitgleich mit dem auslösenden Ereignis oder mit nur kurzer Zeitverzögerung ein.
Was sind Motivationen für Kollegen?
Einerseits kann Motivation für Mobbing durch Kollegen sein, selbst aus der Schussbahn von Kritik zu geraten. Aufgrund von Minderwertigkeitskomplexen, intellektueller Minderbegabung und einer potenziell narzisstischen Persönlichkeitsstruktur sieht der Täter oder die Täterin das einzig wirksame Mittel darin, jemand anderes der Lächerlichkeit preiszugeben.
Richtet sich das Mobbing gegen Arbeitskollegen oder Vorgesetzte, spielen oft Neid, Missgunst, Angst um den eigenen Arbeitsplatz, bedingungsloses Karrierestreben als nicht ausreichend erachtete soziale Anpassung des Opfers, aber auch schlicht sadistische oder rassistische Motive eine Rolle. Bei der durch Sadismus oder Rassismus begründeten Motivation reicht oft die schlichte Existenz des Opfers.
Der Ablauf von Mobbing ist typischerweise geprägt durch eine im Verlauf erfolgende quantitative und qualitative Zunahme des auf das Opfer ausgeübten Drucks. Der oder die aus sadistischen Motiven handelnde Täter/Täterin muss nicht unbedingt ein Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses seines Opfers haben.
8 – Gibt es ein Gesetz gegen Mobbing am Arbeitsplatz?
Bis heute gibt es noch kein Gesetz gegen Mobbing. Grüne und Linke haben 2020 jedoch verkündet, ein Mobbing-Gesetz auf den Weg bringen zu wollen (Süddeutsche Zeitung, 27. Januar 2020).
Dass Beschäftigte besser vor Mobbing durch Kollegen oder Vorgesetzte geschützt werden sollen, vertrat eine knappe Mehrheit der geladenen Sachverständigen am Montag, 27. Januar 2020 in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales unter Leitung von Matthias W. Birkwald (Die Linke).
Gegen diese Initiativen wird argumentiert, dass jeder Versuch der Konkretisierung des Mobbingbegriffes eine Begrenzung darstellen würde. Der Arbeitsrechtler Prof. Dr. Gregor Thüsing meint, angesichts der Bandbreite der Fälle und der Mannigfaltigkeit der etwaigen Fallkonstellationen sei ein Anti-Mobbing-Gesetz schwierig.
So meint man, es gebe es keine Lücke: Im Arbeitsrecht gebe es für ein solches Gesetz keinen Regelungsbedarf.
Diese Auffassung greift freilich etwas zu kurz. Denn ein Gesetzeswerk wie der Corpus Iuris, auf den das Bürgerliche Gesetzbuch zurückzuführen ist, wurde ebenfalls lange Zeit mangels Regelungsbedarfes für nicht erforderlich gehalten. Würde man dieser Argumentation folgen, wäre auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz oder das Antidiskriminierungsgesetz nicht erforderlich gewesen. Schließlich kann man auch diese Sachverhalte mit allgemeinen Rechtsgedanken einer Lösung zuführen.
So spricht sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund für eine Kodifizierung von Anti-Mobbing Regelungen aus. Dies wäre auch eine gute Gelegenheit die Beweislastverteilung zu Gunsten des Mobbing-Opfers zu erleichtern. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.
9 – Wer muss das Vorliegen von Mobbing beweisen?
Mangels einer Kodifizierung von Anti-Mobbing Regelungen bleibt es bei der klassischen Beweislastverteilung. Anders als beispielsweise im französischen Recht liegt die Beweislast beim Anspruchsteller, mithin beim Mobbing-Opfer oder demjenigen, der eine/n Mobbing-Täter/in wegen Mobbing kündigen möchte.
Beweislast liegt beim Mobbing-Opfer
In einem Prozess auf Schmerzensgeld wegen Mobbings trägt also die klagende Seite die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtsgutverletzung und den eingetretenen Schaden. Der Anspruchsteller, also meistens der Arbeitnehmer, muss die klagebegründenden Tatsachen bzgl. aller anspruchsbegründender Tatsachen so vortragen, dass es dem Anspruchsgegner möglich ist, zu erkennen, auf welche konkreten – nach Zeit und Ort identifizierbaren – Tatsachen sich die Anspruchsstellung bezieht.
Was muss ich beweisen?
Aus diesen Anforderungen ergibt sich auch, was bewiesen werden muss: Anhand einer strukturierten und geordneten Darstellung nach Ort, Zeitpunkt und Angabe der beteiligten Personen müssen die Mobbing-Handlungen dargelegt werden, der Rückschluss auf die verwerfliche Gesinnung ist im Wege des Anscheinsbeweises möglich.
Ist ein medizinischer Befund zum Nachweis von Mobbing erforderlich?
Das Vorliegen eines „mobbingtypischen“ medizinischen Befunds ist nicht zwingend erforderlich, kann jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Beweislage haben. Wenn eine Konnexität zu den behaupteten Mobbinghandlungen feststellbar ist, muss das Vorliegen eines solchen Befunds als ein wichtiges Indiz für die Richtigkeit dieser Behauptungen angesehen werden.
Befindet sich der Arbeitnehmer zudem bereits im Stadium der Arbeitsunfähigkeit, bedarf es zudem besonderer Darlegungen dafür, dass weitere behauptete Pflichtwidrigkeiten des Arbeitgebers oder des Vorgesetzten kausal für das Weiterbestehen der (psychischen und psychosomatischen) Erkrankungen des Arbeitnehmers (als Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch) gegeben sind.
Wie überwinde ich die typischerweise vorliegende Beweisnot?
Bei Mobbing entsteht aufgrund der Beweislast vielfach eine Beweisnot des Betroffenen. Der Betroffene muss beweisen, dass dieser allein und ohne Zeugen Verhaltensweisen ausgesetzt ist, die in die Kategorie Mobbing einzustufen sind. Insbesondere bei 4-Augengesprächen zwischen Täter und Opfer ist der Nachweis der Mobbing-Handlungen besonders schwierig.
In diesem Zusammenhang gibt es grundsätzlich keine Beweiserleichterungen, die allein mit der Art der schädigenden Handlungsweise (wie hier Mobbingverhalten) begründet ist. Allerdings hat die Rechtsprechung unabhängig von speziellen Beweisproblemen in Mobbingfällen schon immer anerkannt, dass beispielsweise ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Schädigungshandlung und dem Auftreten der gesundheitlichen Beeinträchtigung zu einer Beweiserleichterung führen kann.
Diese schlechte Beweislage ist durch eine Art. 6 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und damit den Grundsätzen eines fairen und auf Waffengleichheit achtenden Verfahrens entsprechende Anwendung der §§ 286, 448, 141 Absatz 1 ZPO auszugleichen. Dabei muss die im Zweifel und in Mobbing-Konstellationen in der Regel erforderliche Anhörung einer Partei bei der gerichtlichen Überzeugungsbildung berücksichtigt werden.
Als bei der Überzeugungsbildung hilfreich hat sich das sogenannte Mobbing-Tagebuch erwiesen. Wenn ein Mobbing-Tagebuch richtig geführt wird, kann es den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast genügen.
Was ist ein Mobbing Tagebuch
Ein Mobbing-Tagebuch ist eine geordnete Zusammenstellung der Mobbing-Attacken. Ein Mobbingtagebuch muss sorgfältig geführt werden und insgesamt aus sich selbst heraus verständlich sein. Es soll eine authentische Darstellung des täglichen Arbeitsgeschehens liefern können.
Die Aufzeichnungen müssen sich durch das Gericht konkret einordnen und bewerten lassen. Es darf nicht der Eindruck einer nachträglichen Rekonstruktion entstehen, beispielsweise durch unterschiedliche Ausführungen zu identischen Tagen.
Auch wenig hilfreich ist es, wenn zu Mobbing-Attacken ausgeführt wird, an denen das Mobbing-Opfer nachweislich keinen Dienst hatte. Auch ist es nicht ausreichend, wenn sich das Mobbing-Tagebuch auf nur 10 % der fraglichen Tage des Arbeitsverhältnisses bezieht. Ziel eines Mobbing-Tagebuches muss es daher sein, möglichst über den gesamten Zeitraum der Mobbing-Handlungen ein authentisches Bild des täglichen Arbeitsgeschehens zwischen Mobbing-Opfer und Mobbing-Täter zu dokumentieren.
So führt das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urt. v. 30.11.2015 – 3 Sa 371/15, BeckRS 2016, 67330 Rn. 41, beck-online zu einem defizitären Mobbing-Tagebuch aus:
Des Weiteren ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Eintragungen sich lediglich auf einen Prozentsatz von knapp über 10 Prozent der fraglichen Tage beziehen, so dass sich auch deshalb der Aussagewert sehr stark in Grenzen hält. Hinzukommt, dass die Eintragungen als solche kaum ein nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiertes Tatsachensubstrat aufweisen, vielmehr handelt es sich durchgängig um Bewertungen, Werturteile, Einschätzungen, die sich auf die subjektive Befindlichkeit des Klägers beziehen […] Letztlich fehlt auch auf der Grundlage dieses ungenügenden tatsächlichen Substrats eine nachvollziehbare Darlegung des Klägers, warum die zuvor als wesentlich dargestellten Grenzen durch das Verhalten maßgeblicher Mitarbeiter der Beklagten überschritten worden sein sollen.
Das Mobbing-Tagebuch muss es dem Arbeitgeber ermöglichen, konkret erwidern können. Daran fehlt es bei einem unstrukturierten Besinnungsaufsatz.
Brauche ich Zeugen für das Mobbing? Genügen E-Mails etc.?
Zeugen, die Mobbing-Handlungen bestätigen können, sind für die Überzeugungsfindung des Gerichtes das Beweismittel der Wahl. Der Zeugenbeweis ist – wenn auch das schlechteste– wichtigste Beweismittel bei der gerichtlichen Überzeugungsfindung (Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 4. Auflage, Seite 188, Rz. 641).
Oftmals ist es jedoch so, dass Mobbing-Handlungen gerade nicht unter Zeugen stattfinden. Meistens finden diese Handlungen in 4-Augen Situationen statt. Da dies für Mobbing geradezu typisch ist, sind stehen Zeugen daher oft für die Überzeugung des Gerichts nicht zur Verfügung.
Wie dargelegt, kann die Parteianhörung in Verbindung mit der Vorlage eines Mobbing-Tagebuchs, wenn es den Anforderungen an ein solches genügt, die Beweisnot in Sachen Zeugenbeweis kompensieren. Auch hier zeigt sich der Vorteil der Rücksprache mit Freunden oder Verwandten, welche die Schilderungen von dem von Mobbing-Handlungen geprägten Arbeitsalltag jedenfalls als Zeugen vom Hören-Sagen wahrnehmen und bestätigen können.
E-Mails sind ein hilfreiches Objekt des Augenscheins. Es ist aber darauf zu achten, dass diese nicht unsortiert und zusammenhangslos gesammelt werden, sondern mit einem Mobbing-Tagebuch in einen Gesamtkontext eingebettet werden und so die Authentizität des Mobbing-Tagebuchs verstärken können.
10 – Ist eine Kündigung wegen Mobbing am Arbeitsplatz möglich?
Mit dem Grundsatzurteil des Landesarbeitsgerichts Thüringen wurde ausgeurteilt, dass Mobbing bei Wiederholungsgefahr ein Kündigungsgrund gegenüber dem Mobbing-Täter oder der – Täterin sein kann (LAG Thüringen, Berufungsurteil vom 15. Februar 2001, 5 Sa 102/00).
Kündigung wegen Mobbing am Arbeitsplatz auch ohne Abmahnung möglich
Mobbing kann auch ohne Abmahnung und unabhängig davon, ob es in diesem Zusammenhang zu einer Störung des Betriebsfriedens gekommen ist, die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Voraussetzung ist, dass durch das Mobbing das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Mobbingopfers in schwerwiegender Weise verletzt wurde.
Desto-Formel
Je intensiver das Mobbing erfolgt, umso schwerwiegender und nachhaltiger wird die Vertrauensgrundlage für die Fortführung des Arbeitsverhältnisses gestört. Muss der Mobbingtäter oder die Mobbingtäterin erkennen, dass das Mobbing zu einer Erkrankung des Opfers geführt hat und setzt dieser ungeachtet dessen das Mobbing fort, dann kann für eine auch nur vorübergehende Weiterbeschäftigung des Täters regelmäßig kein Raum mehr bestehen. Dies gilt auch dann, wenn das Mobbing-Opfer bereits aus dem Betrieb ausgeschieden ist und die Gefahr besteht, dass Mobbing-Handlungen gegenüber anderen Mitarbeitern fortgeführt werden.
Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB ist jede Vertragsverletzung, die sich aus objektiver Sicht auf das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes auch in Zukunft nachteilig auswirkt. In Abgrenzung zur ordentlichen Kündigung muss die aus der Verletzung einer arbeitsvertraglichen Haupt- oder Nebenpflicht resultierende Störung des Arbeitsverhältnisses so schwerwiegend sein, dass bei verständiger Sichtweise eine auch nur vorübergehende Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.
Für die in ständiger Rechtsprechung erforderliche negative Zukunftsprognose ist entscheidend, ob eine Wiederholungsgefahr besteht. Ebenfalls ausreichend kann aber auch sein, dass durch die belastenden Auswirkungen eines in der Vergangenheit abgeschlossenen Mobbing die Grundlage für eine Fortführung der Vertragsbeziehung irreparabel zerstört ist.
Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs wird auch Mobbing jedenfalls dann in die grundsätzlich zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung geeigneten Fallgruppen von Arbeitsvertragsstörungen eingereiht, wenn dadurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre oder die Gesundheit des Mobbingopfers in schwerwiegender Weise verletzt werden und eine konkrete Wiederholungsgefahr durch den Täter besteht.
11 – Ist Mobbing am Arbeitsplatz strafbar?
Mobbing kann in schweren Fällen die gleichen Folgen haben wie eine gegen Leib und Leben gerichtete Straftat.
Ein massiverer Rechtsbruch im Rahmen des Arbeitsrechts als die in den Konsequenzen des Mobbings in Kauf genommene gesundheitliche Schädigung oder gar existenzielle Vernichtung eines Arbeitnehmers ist schlechterdings nicht vorstellbar. Einen eigenen Straftatbestand für Mobbing als solches gibt es de lege lata jedoch nicht.
Strafrechtlich können im Einzelfall aber Verhaltensweisen, die als Mobbing zu werten sind, aus strafrechtlicher Sicht als Körperverletzung (§§ 223 ff. des Strafgesetzbuchs – StGB) als Beleidigung oder üble Nachrede (§§ 185 ff. StGB) oder als Nötigung (§ 240 StGB) geahndet werden.
§ 223 StGB
Beim Straftatbestand der Körperverletzung ist zu beachten, dass rein psychische Empfindungen bei keiner Handlungsalternative genügen, um einen Körperverletzungserfolg gemäß § 223 Absatz 1 StGB zu begründen (vgl. BGHSt 48, 34, 36).
Wirkt der Mobbing-Täter oder die – Täterin auf das Opfer lediglich psychisch ein, liegt eine Körperverletzung erst dann vor, wenn ein pathologischer, somatisch-objektivierbarer Zustand hervorgerufen worden ist, der vom Normalzustand nachteilig abweicht (vgl. BGH aaO S. 36 f.).
Bloß emotionale Reaktionen auf Aufregungen, wie etwa starke Gemütsbewegungen oder andere Erregungszustände, aber auch latente Angstzustände, stellen keinen pathologischen Zustand und damit keine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Absatz 1 StGB dar (vgl. BGH NStZ 1997, 123).
§ 185, 186 StGB
Ebenfalls kann eine Strafbarkeit wegen Beleidigung oder übler Nachrede in Betracht kommen.
Beleidigung
Dies setzt im Fall der Beleidigung einen rechtswidrigen Angriff auf die Ehre des Betroffenen durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung voraus (BGHSt 1, 289). Die Kundgabe kann auch durch schlüssiges Verhalten geschehen, wie z.B. Nicht-Grüßen, Nicht-Beachten. In der Regel ist aber positives Tun erforderlich.
Jedoch sind allgemeine Unhöflichkeiten wie zum Beispiel Distanzlosigkeit ohne abwertenden Charakter, bloße Taktlosigkeiten oder bloße Belästigungen in der Regel nicht als Beleidigungen einzuordnen. Auch hier gilt, dass es zu Bedeutungsabweichungen auf Grund von sozialer Schicht, Alter oder der Zugehörigkeit von Subkulturen zu unterschiedlichen Bewertungen von Äußerungen kommen kann (Fischer StGB § 185 Rz. 8).
Keine strafrechtliche Relevanz haben an sich neutrale Bezeichnungen der sexuellen Orientierung, ohne dass dies mit einer Herabwürdigung verbunden ist („homosexuell“, „bisexuell“, „heterosexuell“). Denn diese Begrifflichkeiten sind gerade auf Grund des Antidiskriminierungsgesetzes nicht herabsetzend konnotiert. Eine Diskriminierung von sexuellen Orientierungen würde aber die Folge sein, wenn man die Verwendung dieser Bezeichnungen unter Strafe stellte. Etwas anderes gilt aber bei eindeutig wertenden und herabwürdigenden Bezeichnungen.
So schreibt das LG Tübingen (LG Tübingen, Urteil vom 18. Juli 2012 – 24 Ns 13 Js 10523/11):
Entscheidend ist aber, dass sich das Strafrecht in einen Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich begründeten Antidiskriminierungsansatz begeben würde, wenn die Bezeichnung als „homosexuell“ als ehrmindernd und herabsetzend bewertet würde. Darin käme gerade die Diskriminierung zum Ausdruck, die von Rechts wegen nicht mehr sein soll. Insoweit verhält es sich nicht anders wie mit sonstigen Bezeichnungen einer sexuellen Präferenz wie „bisexuell“ oder „heterosexuell“ oder mit Bezeichnungen einer religiösen Zugehörigkeit wie Katholik oder Jude – und zwar völlig unabhängig davon, ob der Erklärungsempfänger der betreffenden Personengruppe angehört.
Üble Nachrede
Der Straftatbestand der üblen Nachrede nach § 186 StGB setzt die Verbreitung von unwahren Tatsachen voraus, die geeignet sind, die Ehre zu verletzen. Eine Tatsache ist unwahr, wenn sie nicht erweislich wahr ist. Die Strafbarkeit entfällt nur, wenn die Tatsache erweislich wahr ist. Zweifel an der Wahrheit gehen zulasten des Täters. Hier können Äußerungen, die nicht vom Tatbestand der Beleidigung erfasst werden, im Einzelfall aufgefangen werden.
12 – Welche Folgen hat Mobbing am Arbeitsplatz für die Gesundheit?
Die körperliche Reaktion auf psychische Belastungen in Form von Mobbing-Handlungen ist ungesunder Stress. Medizinisch ist Mobbing beschreibbar als ein pathogenetischer Mechanismus als kumulative Traumatisierung (Fischer/Riedesser, Lehrbuch der Psychotraumatologie, [1998] S. 332). Die gesundheitlichen Folgen von Mobbing weisen eine unvergleichlich stärkere Intensität auf, als diejenigen, welche durch ein einziges belastendes Ereignis, wie beispielsweise das Erlebnis eines schweren Verkehrsunfalls hervorgerufen werden (Groeblinghoff/Becker, A Case Study of Mobbing and the Clinical Treatment of Mobbing Victims, European Journal of Work and Organizational Psychology, 1996, S. 277 ff.).
Bei dem durch Mobbing entstehenden psychodynamischen Prozess sind psychische und psychosomatische – und vermittelt darüber körperliche Erkrankungen die regelmäßige Konsequenz. Aus leichteren unspezifischen und abschnittsweisen Befindlichkeitsstörungen können sich bei fortschreitendem Verlauf manifeste Krankheitssymptome, komplexe psychosomatische/psychiatrische Symptome im Sinne gravierender, chronifizierter und teils irrevisibler Gesundheitsschädigungen bis hin zur Schwelle zum Suizid und darüber hinaus entwickeln.
Körperliche Auswirkungen
Die körperlichen Auswirkungen sind mannigfaltig. Charakterisierend ist, dass nicht nur einzelne Symptome auftreten, sondern jeweils Gruppen von diesen Symptomen. Dies können sein: Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Magenbeschwerden, Herzrasen, Schlafstörungen, Schwindel, Magen-/Darmentzündungen, Muskelverspannungen, Geschwüre, Zusammenbrüche und Rückenschmerzen.
Charakteristisch ist dabei, dass die Symptome akut mit der Belastung am Arbeitsplatz in Korrelation stehen, also bei der Arbeit verstärkt auftreten. Das heißt beispielsweise bei erhöhtem Blutdruck, dass dieser in unmittelbarem Zusammenhang mit der Arbeit auftritt und nicht im Urlaub. Die Krankenkassen stellen bei dem Befund von Herzrasen oder erhöhtem Bluthochdruck in der Regel mobile Blutdruckmessgeräte zur Verfügung.
Möchte man herausfinden, ob die Symptome in Korrelation zum Arbeitsplatz stehen, bietet es sich daher an, bei seinem Arzt vorzusprechen und sich ein solches Gerät zur Verfügung stellen lassen. Ein wichtiger Indikator wäre es, wenn trotz des Unwohlbefindens am Arbeitsplatz beim Arzt keinerlei dieser Symptome festgestellt werden können und beispielsweise der Bluthochdruck und die Herzaktivität normal ist.
Auswirkungen auf die Psyche
Mit diesen Symptomen Hand in Hand einhergehend kommt es auf psychischer Ebene zu innerer Unruhe und psychischen Belastungen aufgrund von den oben genannten körperlichen Symptomen wie Schlafstörungen. Dies kann psychisch zu Depressionen und Burn-out führen.
Für die Entwicklung auf psychischer Ebene ist es im Einzelnen kennzeichnend, dass es bei den Mobbingopfern abhängig von Dauer und Intensität der Verletzungen aufgrund der extremen psychischen Belastung in der Endphase zu schwerwiegenden Persönlichkeitsveränderungen kommt. Besonders häufig ist im Endstadium bei Mobbing-Opfern das psychotraumatische Belastungssyndrom – PTSD – feststellbar.
Zusätzlich werden die Befunde in der Regel geprägt durch extreme Depressionen oder extreme Obsessionen, wobei sich der eine mit dem anderen Zustand abwechseln kann.
Bei den durch Hoffnungslosigkeit, Apathie und emotionale Anästhesie geprägten depressiven Verlaufsformen manifestiert sich regelmäßig eine erhebliche Gefahr des Missbrauchs psychotroper Substanzen und ein erhöhtes Suizidrisiko. Die als traumakompensatorisches Bemühen einzuordnende obsessive Verlaufsform ist geprägt durch permanente Hyperaktivität, suchthaftem Erzählen des eigenen Schicksals und der erlittenen Kränkungen sowie Hypersensitivität gegenüber Unrecht.
Auswirkungen auf das Privatleben
Aufgrund des am Arbeitsplatz eingebrannten Vertrauensverlustes in zwischenmenschliche Beziehungen geht dies häufig einher mit einer feindlichen und misstrauischen Haltung gegenüber der Welt. Selbst gegenüber der Familie und Freunden kommt es zu einer ablehnenden Haltung und einer zunehmenden Selbstisolation.
Dies kann zu einem völligen Wegbrechen des sozialen Umfelds führen. Auf Grund der bei den Betroffenen im fortgeschrittenen Verlauf durch andere Personen zunehmend wahrnehmbaren querulatorischen Komponente kann dies zudem zu einer Ursache und Wirkung verwechselnden Stigmatisierung führen und die genannten Effekte nochmals verstärken.
Denkbar sind auch beispielsweise Ehekrisen, weil das Mobbing-Opfer den Partner zu stark mit seinen Mobbing-Berichten in Anspruch nimmt. Oft werden dem Mobbing-Opfer Ratschläge erteilt, die das Mobbing-Opfer jedoch nicht in die Tat umsetzt. Dies führt wiederum zu einer Belastung der Beziehung (Beispiel nach Böhme, Mobbing, Beck kompakt, 2. Auflage).
13 – Habe ich einen Anspruch auf Schadenersatz bei Mobbing am Arbeitsplatz?
Mangels von Anspruchsgrundlagen aus einem spezielleren Gesetz und der fehlenden Anspruchsqualität des Mobbings richten sich Ansprüche auf Schadenersatz und insbesondere auf Schmerzensgeld nach den allgemeinen Regelungen.
Anspruchsgrundlagen
Schadenersatz- und Ansprüche auf billige Entschädigung als Ersatz eines immateriellen Schadens („Schmerzensgeld“) können sich insbesondere aus den §§ 823 ff. BGB i. V. m. Art. 1 Absatz 1, 2 Absatz 1 GG ergeben. Nach § 823 Absatz 1 BGB hat der Einzelne, also auch der Arbeitnehmer gegenüber jedermann das Recht auf Achtung seiner Menschenwürde und Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit.
Handlungen von anderen Arbeitnehmern werden dem Arbeitgeber nach § 278 BGB zugerechnet. Handelt der Arbeitgeber oder eines seiner Organe selbst, erfolgt die Zurechnung nach den §§ 31, 89 BGB.
Das Recht auf Achtung der Menschenwürde ist nicht mit dem Persönlichkeitsgrundrecht nach Art. 2 Absatz 1 i. V. m. Art. 1 Absatz 1 GG identisch. Es entfaltet aber vielfach eine gleichartige Wirkung. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist das Recht des Einzelnen auf Achtung und Entfaltung seiner Persönlichkeit. Zum Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehört auch der sog. Ehrenschutz, der auf den Schutz gegen unwahre Behauptungen und gegen herabsetzende, entwürdigende Äußerungen und Verhaltensweisen und die Wahrung des sozialen Geltungsanspruchs gerichtet ist. Es umfasst damit auch den Anspruch auf Unterlassung der Herabwürdigung und Missachtung durch andere.
Wie oben dargelegt, kann dies durch die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes konkretisiert werden, wenn Grundlage der Mobbing-Handlungen Verstöße gegen die Schutzgüter des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sind.
Stützt der Arbeitnehmer seinen Schadenersatzanspruch darauf, der Arbeitgeber habe ihn durch “Mobbing” an der Gesundheit geschädigt, so kann grundsätzlich nach § 253 Absatz 2 BGB auch eine billigende Entschädigung in Geld gefordert werden.
Schadenspositionen
Materielle Schäden
Als materielle Schadenspositionen kommt bei Bezug von Krankengeld insbesondere die Differenz zwischen dem fiktiven Bruttoentgelt und den erhaltenen Leistungen wie Krankengeld und Zuschüssen zum Krankengeld in Betracht (Verdienstausfallschaden). Ebenfalls erfasst sein können übliche, aber entgangene Regelentgelterhöhungen.
Immaterielle Schäden
Als immaterielle Schadensposition kommt die Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts in Betracht. Die Entschädigung im Zusammenhang mit einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts stellt einen Wiedergutmachungsversuch dar, wobei neben der Intensität der Schmerzen im geistigen Bereich, dem Maß der Schuld und dem Anlass und der Begleitumstände der Verletzungshandlung, auch deren Dauer und Nachwirkung sowie etwaige Wirkungen über das Arbeitsverhältnis hinaus zu berücksichtigen sind (LAG Berlin-Brandenburg vom 24.10.2019 – 10 Sa 704/19 – Juris Randnummer 103).
Wann verjährt ein Anspruch auf Schadenersatz bei Mobbing?
Für einen Schmerzensgeldanspruch gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren, § 195 BGB. Nach § 199 Absatz 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem zum einen der Anspruch entstanden ist. Zusätzlich muss zum anderen der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt haben. In Mobbingfällen ist der verjährungsrelevante Zeitpunkt regelmäßig auf den Abschluss der zeitlich letzten vorgetragenen Mobbinghandlung festzusetzen (BAG 16. Mai 2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 60, BAGE 122, 304).
Kann das Recht auf Schadenersatz wegen Mobbing verwirken?
Oft fragen sich Mobbing-Opfer, ob Ansprüche auf Schadenersatz verwirken können, wenn zunächst versucht wird, „die Sache auszusitzen“. Das bloße „Nichtstun“ ist aber nicht schädlich. Ein bloßes Zuwarten kann regelmäßig nicht die Erwartung des Arbeitgebers begründen, dass das Mobbing-Opfer den Täter oder den Arbeitgeber nicht mehr in Anspruch nehmen wird.
Dies gilt selbst dann, wenn das Arbeitsverhältnis bereits beendet wurde oder der Arbeitgeber in die Insolvenz gerät. Diese Umstände begründen unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Mobbing-Sachverhalte keine Umstandsmomente, die ein Vertrauen rechtfertigen, dass das Mobbing-Opfer seine Ansprüche keinesfalls mehr durchsetzen möchte.
14 – Was kann der Betriebsrat bei Mobbing für mich tun?
Auf Ihre Beschwerde bei Ihrem Vorgesetzten hin kann der Betriebsrat nach § 85 Betriebsverfassungsgesetz überprüfen, ob die Beschwerde berechtigt ist. Der Betriebsrat kann eine Betriebsvereinbarung erarbeiten und als Vermittler zwischen den Parteien dienen. Ebenfalls kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber verlangen, den Mobbing-Täter zu entlassen (§ 104 Betriebsverfassungsgesetz“. Kann der Betriebsrat keine Einigung erzielen, kann er nach § 85 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz den Streit an eine Einigungsstelle herantragen.
15 – Zahlt bei Mobbing am Arbeitsplatz die Rechtsschutzversicherung?
Grundsätzlich ist Berufsrechtsschutz auch einschlägig bei Mobbing am Arbeitsplatz. Versicherer können den Versicherungsschutz aber ablehnen, wenn keine Aussicht auf Erfolg besteht. Auch hier gilt daher die Regel, dass der Mobbing-Sachverhalt möglichst nachvollziehbar und konkret dargelegt werden sollte.